Das Paradoxon, über schwierige Gefühle zu sprechen

Man könnte meinen, dass sich die Stimmung verschlechtert, wenn man über seine schwierigen Emotionen - Aufregung, Langeweile, Wut, Nervosität usw. - spricht. Eine aktuelle Studie legt jedoch das Gegenteil nahe.

Die Studie, die in Nature veröffentlicht und von Forschern des Max Planck Social Neuroscience Lab durchgeführt wurde, untersuchte 212 Teilnehmer, die eine "tägliche Dyade" durchführten, ein tägliches strukturiertes Einzelgespräch mit einem Partner (Dyade bedeutet einfach "zwei", wie in zwei Personen). In diesem Gespräch sprachen die Partner abwechselnd jeweils 2,5 Minuten lang über zwei Erlebnisse: erstens über ein schwieriges Gefühl in den letzten 24 Stunden und zweitens über ein Erlebnis der Dankbarkeit in den letzten 24 Stunden. In beiden Fällen hörte der Partner des Sprechers nur zu, ohne zu kommentieren oder Ratschläge zu geben.

Nach jedem dieser kurzen Peer-to-Peer-Treffen bewerteten die Forscher die Stimmung und die Qualität der Gedanken der Teilnehmer anhand eines Standard-Selbstberichts, z. B. ob die Teilnehmer ihre Gedanken als "positiv" oder "negativ" beschrieben, oder ob sie sich eher auf "sich selbst" oder "andere" bezogen.

Das Ergebnis: Die Teilnehmer berichteten von einer deutlichen und statistisch signifikanten Verbesserung ihrer Stimmung nach dem Gespräch. Da eine der Aufforderungen darin bestand, über eine schwierige emotionale Erfahrung zu sprechen, mag dies kontraintuitiv erscheinen. Sollten wir uns nicht schlechter fühlen, wenn wir unangenehme Erlebnisse des vergangenen Tages Revue passieren lassen?

Wie sich herausstellt, nicht unbedingt. Unter den richtigen Bedingungen kann das Nachdenken über schwierige emotionale Erfahrungen und der Austausch darüber unsere Stimmung, unsere Widerstandsfähigkeit und unser Wohlbefinden deutlich verbessern. Hier sind ein paar Hinweise aus der Forschung:

1. Zunächst reflektierten die Teilnehmer in diesem Gespräch über schwierige Emotionen und Dankbarkeit am vergangenen Tag. Wenn wir darüber nachdenken, wofür wir dankbar sind, kann das Stress abbauen und unsere Schwierigkeiten in eine größere Perspektive rücken: Ja, ich hatte heute eine schwierige Situation, aber ich habe auch Dinge, für die ich dankbar sein kann.

2. Zweitens ist es hilfreich, schwierige Erfahrungen in einem Kontext zu teilen, in dem wir darauf vertrauen, dass die andere Person in erster Linie einfühlsam zuhört. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass andere uns nicht wirklich zuhören, wenn wir versuchen, etwas mitzuteilen, oder dass sie uns unerwünschte Ratschläge geben oder versuchen, unsere Probleme auf eine Weise zu "lösen", die nicht wirklich hilft. In dieser Studie gaben sich die Teilnehmer gegenseitig keine Ratschläge oder Kommentare: Sie hörten einander einfach zu. Schon der einfache Akt, uns zu äußern und gehört zu werden, kann eine gesunde Wirkung haben.

3. Drittens kann der Austausch über schwierige Erlebnisse mit anderen eine zwischenmenschliche Beziehung aufbauen, die einigen Untersuchungen zufolge der größte Einzelfaktor für langfristige Gesundheit und Wohlbefinden ist. Wenn wir uns über unsere schwierigen Erfahrungen austauschen und hören, wie andere über ihre Erfahrungen berichten, erinnern wir uns daran, dass wir nicht allein sind. Wir fühlen uns den anderen näher und gewinnen ein Gefühl der gemeinsamen Menschlichkeit zurück. In einer verwandten Studie zu einer ähnlichen Praxis berichteten Dyad-Teilnehmer über ein starkes Gefühl der sozialen Nähe zu ihren Partnern, das jeden Tag nach ihrem Gespräch zunahm.

Im Gesamtbild von psychischer Gesundheit und sozialer Bindung gibt es noch einen weiteren Aspekt dieser Studie, der Hoffnung macht: Die Teilnehmer teilten ihre schwierigen emotionalen Erfahrungen nicht mit einem professionellen Therapeuten oder Coach, sondern mit einem Gleichaltrigen, einer Person, die genauso ist wie sie. Die Studienteilnehmer waren Lehrer, Busfahrer, Hausfrauen, Büroangestellte, Einzelhandelsangestellte und so weiter.

Es gibt Zeiten, in denen professionelle Unterstützung und Beratung unerlässlich sind, insbesondere in Fällen extremer psychischer Belastung. Gleichzeitig unterstreicht die Studie, wie sehr wir als normale Menschen einander unterstützen können, indem wir einfach zuhören und uns auf menschlicher Ebene begegnen.

https://www.nature.com/articles/s41598-023-40636-1

Bildnachweis: Gregg Trueman